Wie ist es so, als Frau keine Kinder zu wollen? Genau dieser Frage geht Linn Strømsborg in “Nie, nie, nie” auf den Grund und lässt ihre 35-jährige Protagonistin so einige Übergriffe, ungefragte Meinungen und Konsequenzen ihrer Entscheidung gegen Kinder ertragen. Faszinierend, wie viele unterschiedliche Menschen an diesem sehr intimen und auf den biologisch weiblichen Körper beschränkten Prozess der Schwangerschaft scheinbar beteiligt sind.
Wenn ich an “Nie, nie, nie” denke, ist in meinem Kopf nur: “Ja, ja, ja!” Dieses Buch ist so wichtig, so zugänglich und emotional erfahrbar, dass ich schon zu Beginn dieser Besprechung in den Raum stellen möchte: Jede:r sollte dieses Buch lesen!
Selten konnte ich mich so gut mit einer Protagonistin identifizieren. Verpackt in ihre ganz eigene Beantwortung der Mutterschaftsfrage, deckt sie verbreitete Narrative in nahem Umfeld und Gesellschaft auf, ordnet ein, entkräftet. Eine unbedingte Leseempfehlung für alle Menschen, unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung oder auch allen anderen Schubladen, die Mensch sich so ausgedacht hat.
Widerspruch zwecklos: “Das kommt schon noch!”
Die eigentliche Handlung von “Nie, nie, nie” lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen: Die Protagonistin lebt ein Leben als Frau, ohne Mutter zu sein. Ende des Buchs. Wären da nicht all die Nebenschauplätze, die Frauen mit dieser inakzeptablen Entscheidung automatisch betreten. Ungefragte Meinungen, zermürbende Diskussionen, Ignoranz, Unverständnis, Vorwürfe und Freund:innen, die in Vorstädten verschwinden, können die knapp 255 Seiten dann (trotz Inhaltszusammenfassung in einem Satz) locker füllen. Und das ist schlicht bezeichnend.
Wir lernen mit der (namenlosen) Protagonistin eine junge Frau kennen, die sich noch nie mit der Mutterrolle identifizieren konnte und diese immer klarer für sich ausschließt. Zunächst geht sie davon aus, in ihrem Freund:innen-Kreis Kompliz:innen zu haben, die sich auch ein kinderloses Leben wünschen, bis auch die letzte ihrer Freundinnen, Anniken, ihre Schwangerschaft verkündet. Dieser Moment stürzt sie in eine tiefe Krise, das Nachdenken über ihre Kinderlosigkeit nimmt viel Raum ein und auch ihre langjährige Beziehung mit Philipp übersteht diese Ankündigung nicht. Beide hatten sich auf eine kinderlose Beziehung verständigt. Mit den Jahren kann Philipp seinen aufkeimenden Kinderwunsch nicht mehr zurückstellen. Annikens Ankündigung trifft ihn wie ein Schlag, vielleicht hatte auch er die Hoffnung, dass das bei seiner Partnerin “schon noch kommt”?
Die kinderlose Frau als Egoistin
Vermutlich ist es für die meisten von uns leider noch immer keine große Überraschung, dass der Ablehnung der Mutterschaft maßgeblich Missverständnis, ja fast schon Wut entgegenschlägt. Die wichtigste und unumstrittene Bestimmung des biologisch weiblichen Körpers scheint die Reproduktion zu sein. Jede Frau, die sich dem verweigert, kommt ihrer selbstverständlichen Aufgabe nicht nach, ist egoistisch und setzt die falschen Prioritäten.
Oftmals schamlos und unreflektiert exakt so ausgesprochen, oftmals getarnt unter dem Mantel der persönlichen Enttäuschung oder auch Relativierung (“Das kommt bei dir auch noch”) wird Linn Strømsborgs Protagonistin mit diesen Reaktionen konfrontiert und ihrer Mündigkeit als selbstbestimmte Frau beraubt. So strickt ihre Mutter seit immer Säuglingskleidung, ihre Ärztin betont, dass es jetzt mal Zeit würde, ihre beste Freundin verbalisiert, selbst überfordert mit der neuen Mutterrolle und depressiv, ihr Unverständnis deutlich. So habe sie doch immer nur die Meinung vertreten, noch keine Kinder zu wollen, aber keinesfalls nie. Genau dies schrieb Anniken die ganze Zeit unbewusst auch der besten Freundin zu. Die beiden Leben der Frauen nehmen mit der einseitigen Mutterschaft gegensätzliche Wendungen, der Fortbestand der engen Bindung erfordert viel Arbeit und gelingt in Teilen.
Feinfühlig und klug beobachtet
Linn Strømsborg zeichnet ihre Charaktere messerscharf und feinfühlig und ist eine wahnsinnig aufmerksame und kluge Beobachterin. Sie macht es leicht, eine starke Verbindung zu ihrer Protagonistin aufzubauen. Ich als kinderlose Frau fühle mich wahnsinnig verstanden und abgeholt, kann ihren andauernden Prozess der Reflexion und des Abwägens nachvollziehen und fast schon körperlich fühlen.
Besonders beeindruckt hat mich das Bild der “egoistischen und unvollkommenen kinderlosen Frau”, das wohl jeder Frau in der gleichen Situation schon regelmäßig um die Ohren geflogen ist, und ihre schlichte Entkräftung dieses Narrativs:
“Ein Kind zu bekommen lässt dich die Extremalpunkte deiner Existenz spüren. Es ist die beste und die schlimmste Zeit. Du hättest nie gedacht, dass du so müde sein kannst. Hättest nie gedacht, dass du so lieben kannst. Ein Kind zu bekommen heißt, die Extremalpunkte zu akzeptieren, bereit zu sein, sich zwischen ihnen strecken zu lassen, womöglich bis zum Zerreißen. Kein Kind zu bekommen ist die Entscheidung für etwas anderes. Aber ich habe meine eigenen Extremalpunkte - in meinem ganz gewöhnlichen Leben. Ich will hier sein.”
Linn Strømsborg in “Nie, nie, nie”, S. 159
Ich möchte mich hier gern bedingungslos anschließen: Die Entscheidung gegen Kinder ist viel mehr als “eine Entscheidung dagegen”. In erster Linie ist sie “eine Entscheidung dafür” und zwar für das ganz normale Leben mit seinen eigenen Extremalpunkten. Und das ist in Ordnung.
Wer sollte dieses Buch lesen?
- Alle.
- Alle.
- Nochmal alle.
Und bei mir so?
Ich fühle mich verstanden, repräsentiert und beseelt davon, dass wir über die völlig okaye Entscheidung, nicht Mutter zu werden, sprechen. Bitte einfach mehr davon. Es täte uns allen gut.
Und sollte ich in nächster Zeit dieses Buch verschenken: Nein, es ist kein Zufall, dass ich es dir geschenkt habe.
Infos zum Buch im Überblick
- Verlag: DuMont Buchverlag
- 256 Seiten
- Originalverlag: Flamme Forlag, 2019
- Originaltitel: Aldri, aldri, aldri
- Übersetzt aus dem Norwegischen von Stefan Pluschkat
- Erscheinungstag: 12.04.2021
- ISBN 978-3-8321-7085-1
Vielen Dank an den DuMont Buchverlag für das Rezensionsexemplar!
Kommentare von Anne