Zwei alte Freundinnen, als Kinder unzertrennlich, nun seit 12 Jahren keinen Kontakt mehr. Ein Opel Astra. Die Finsternis Bosniens. Herkunft und Heimat. Ein wilder Roadtrip von Mostar nach Wien. Die Suche nach dem verschollenen Bruder und Geliebten. Die Sehnsucht nach Versöhnung.
All das und noch so viel mehr ist Lana Bastašićs Debütroman „Fang den Hasen”. Mit einer wahnsinnigen Sprachgewalt und poetischen Bildern nimmt sie uns mit auf die Reise quer durch den Balkan.

Was für ein Buch! Schon jetzt ein Highlight für mich. Je besser das Buch, desto schwerer die eigenen Gefühle in Worte zu fassen. Sitze hier jetzt also mit diesem leuchtend gelben Roman, der schon ganz schön abgewetzt und gelesen daher kommt (habe ihn die ganze Woche in der Tasche mit mir rumgetragen und bei jeder Gelegenheit gelesen oder noch mal Stellen nachgelesen) und frage mich ein bisschen: Wo anfangen? Wie diese tolle Sprache vermitteln? Was ist zu viel zum Inhalt, was zu wenig bei so einem atmosphärischen und besonderen Buch? Wir springen einfach mal rein!

Eine Heimat, zwei Geschichten

Lejla und Sara haben seit 12 Jahren keinen Kontakt mehr. Lejla lebt in Mostar, Sara in Dublin. Ihre Leben könnten gegensätzlicher kaum sein und das, obwohl beide ihre gesamte Jugend miteinander verbrachten, gemeinsame Höhen und Tiefen hatten, Lejla stets in der scheinbar dominanten Rolle. Und diese Dominanz, ja Kontrolle über Sara, sie hat auch nach 12 Jahren noch Bestand, als Lejla Sara anruft und nach Mostar bestellt, um gemeinsam mit dem Auto nach Wien aufzubrechen. Armin, Lejlas vermisster Bruder und Sehnsuchtsfigur Saras, sei in Wien aufgetaucht. Sara, sie packt ihre Tasche, lässt die neue Heimat Dublin, ihren nerdigen Freund und eine Avocado-Pflanze zurück, um nach Bosnien zu reisen, zurück in die Vergangenheit, die Heimat, den mittlerweile unbekannten Ort.

Mit dem Astra durch die Finsternis

Die beiden begeben sich in einem klapprigen Opel Astra auf eine Reise durch ihre Freundschaft, durch die Geschichte Jugoslawiens, eine Geschichte von Krieg, Trennung und Identitätsverlust. Gekonnt verflechtet Lana Bastašić den Roadtrip der Gegenwart mit Flashbacks der gemeinsamen Vergangenheit beider Freundinnen. Sara als Ich Erzählerin bestimmt Tempo und Ausrichtung der Erinnerungen, in denen sie als Serbin der bosnischen Lejla gegenüber in einer privilegierten Situation ist. Im Hier und Jetzt dominiert Lejla die Reise und Handlung mit einer gewissen Härte, getrieben von Melancholie und Traurigkeit und dem Wunsch der Heilung durch das Finden des verschollenen Bruders.

Lejla legt die gemeinsame Route fest, eine Route durch die Dunkelheit, die auch tagsüber in Bosnien wabert. Die Finsternis als Schatten der vielschichtigen, kriegsgeprägten und zerrütteten Geschichte des Balkans, von denen beide Protagonistinnen betroffen und getroffen sind. So verlangt Lejla nach dem Besuch des Heimatdorfes der beiden. Sara, die ihre Mutter seit Jahren nicht mehr gesehen und keinen Kontakt zu ihr hat, beobachtet diese hinter Büschen versteckt, bevor sie sich der Situation entzieht. Sie schließt endgültig ab mit einem Teil Herkunft, der so gar nicht zu ihrem Leben in Dublin zu passen vermag.

Auch wenn beide Freundinnen so grundverschieden zu sein scheinen, so sind sie doch vereint durch die gemeinsame Herkunft und Geschichte. Und auch wenn sie gegensätzliche Biografien haben, scheint der Wunsch, die Freundin wiederzusehen, bei Lejla so übermächtig zu sein, dass sie diese aus ganz anderen Beweggründen wie zunächst angenommen zu dieser gemeinsamen Reise bringt.

Atmosphärisch, leise und bildhaft

Lana Bastašić ist eine so kraftvolle und beeindruckende Stimme der Literatur! Ihr Debütroman “Fang den Hasen” beinhaltet viele Themen und spannende Verweise, die teilweise auch erst auf den zweiten oder dritten Blick sichtbar werden, denn sie lässt und als Leser:innen Raum zum Entdecken, Interpretieren und Deuten. Sie transportiert mit starken Bildern wie der Finsternis oder natürlich auch dem Hasen innerhalb weniger Sätze starke und eindringliche Bilder, die bleiben. Dieses Buch ist ein literarischer Genuss, erschüttert und gibt gleichzeitig Hoffnung.

Wer sollte dieses Buch lesen?

  • Alle, die sich mit dem Balkan beschäftigen möchten und einen belletristischen Zugang suchen.
  • Alle, die die Geschichte einer vielschichtigen und strapazierten Freundschaft lesen möchten.
  • Alle, die ein bisschen besser verstehen möchten, welchen Unterschied der geografische Ort der Geburt machen kann.

Und bei mir so?

Ich bin Lana Bastašić und ihrem Stil verfallen. “Fang den Hasen” ist eines dieser Bücher, dass ich viel zu schnell gelesen hab, gleichzeitig nicht wollte, dass es endet und jetzt eigentlich direkt wieder von vorn anfangen möchte. Dieser Roman ist so besonders, so vielschichtig und fein, ohne jemals laut werden zu müssen: ein ganz besonderes Stück Literatur. Und so viel sei noch gesagt: Das Ende hat mir schlichtweg das Herz gebrochen.

Außerdem möchte ich euch noch die fabelhafte Besprechung von Saša Stanišić in der ZEIT ans Herz legen. Sie ist wunderbar, ordnet ein und macht richtig Lust aufs Buch. 

Herkunft habt ihr natürlich alle schon gelesen oder? Falls nicht: Es ist eine fabelhafte Folgelektüre, wenn ihr mit “Fang den Hasen” durch seid! 

Infos zum Buch im Überblick

Danke an S. FISCHER für das Rezensionsexemplar an dieser Stelle!