In »Die Farbe Lila« lässt Alice Walker ihre Protagonistin Briefe an Gott schreiben. Sie lässt uns tief eintauchen in die innersten Gefühle und Gedanken einer Frau, deren ganzes Leben bestimmt wird von Herkunft und Klasse. Bereits 1982 erschienen, hat dieser Klassiker der afroamerikanischen Literatur bis heute erschreckend wenig an Aktualität verloren.
»Die Farbe Lila« ist eines von den Büchern, das mich trotz unglaublich schwerer Thematik in einen Sog der Spannung gezogen hat und ich bin nur so von Seite zu Seite geflogen. Es hat mich im Innersten berührt und ich musste dieses Buch erst mal ein bisschen wirken und arbeiten lassen. Nicht nur die außergewöhnliche Form – Alice Walker lässt ihre Protagonistin ausschließlich auf dem Briefweg kommunizieren – auch die Intensität des Inhalts haben mich nachhaltig beeindruckt.
Erschienen ist »Die Farbe Lila« in englischer Originalausgabe 1982 und wurde mit dem Pulitzer-Preis und dem National Book Award ausgezeichnet. Umso toller, dass dieser Klassiker jetzt im Ecco Verlag in der Neuübersetzung von Cornelia Holfelder-von der Tann noch mal neue Aufmerksamkeit bekommt.
»Lieber Gott, …«
Celie wächst in einem von Gewalt und Angst geprägten Umfeld aus. Ihr Vater vergewaltigt sie, bereits zweimal war sie schwanger von ihm. Mit dem Verschwinden der jüngeren Schwester und dem Tod der Mutter verliert Celie endgültig jede Unterstützung und jeden Halt. Sie ist eine Belastung für den alkoholabhängigen, gewalttätigen Vater. Mehr Dienstmagd als Familienmitglied, zudem schwer zu verheiraten, da angeblich hässlich und wenig gefällig. Es tut weh zu lesen, wie Celie von einem gewalttätigen Umfeld in das nächste Gerät. Um dem familiären Haushalt nicht weiter zur Last zu fallen, wird sie an einem Mann verheiratet mit erschreckender Ähnlichkeit zum eigenen Vater.
»Harpo schnieft.
Ich will, dass sie macht, was ich sag. So wie du bei Pa.
Guter Gott sag ich.«
Alice Walker in »Die Farbe Lila«, S. 72
Die Spirale des Hasses, der Gewalt und Abhängigkeit dreht sich weiter. Um all dies zu bewältigen schreibt Celie Briefe an Gott aus denen »Die Farbe Lila« besteht.
Entdeckung der Liebe
»Die Farbe Lila« hat sehr regelmäßige Momente des Staunens darüber, dass die Situation noch schlimmer werden kann, bei mir hervorgerufen. Besonders einschneidend, aber auch verändernd, war jener, als Celies gewalttätiger und alkoholabhängiger Mann seine Geliebte Shug in das gemeinsame Haus einziehen lässt. Celie scheint final zum Hausmädchen degradiert zu sein. Sie kümmert sich nun nicht mehr nur um seine Kinder aus früherer Ehe, sondern auch um die Bedürfnisse seiner Geliebten. Was als erneute Demütigung beginnt, entfaltet jedoch eine ganz eigene Magie: Celie lernt mit Shug das erste Mal die Liebe kennen und beginnt zu erahnen, dass das Leben aus mehr als Gewalt und Unterdrückung bestehen kann. Eine mitreißende und berührende Geschichte der Emanzipation nimmt ihren Lauf.
Porträt einer schwarzen Familie
Ausgehend von Celies Geschichte entwirft Alice Walker ein weit verästeltes und über mehrere Generationen verzweigtes Bild einer schwarzen Familie in Georgia, das noch immer erschreckend aktuell ist. Schwarze Menschen, die wegen kleinstem Fehlverhalten inhaftiert werden. Schwarze Menschen, die als Bedienstete für Weiße arbeiten. Schwarze Menschen, die keine gerechte Chance auf Bildung haben. Diese Liste ließe sich vermutlich noch lang fortführen. In »Die Farbe Lila« all diese Themen des alltäglichen und tief verwurzelten Rassismus so nebenbei und lebendig geschildert, dass es zuweilen leicht ist zu vergessen, dass die Handlung bereits 100 Jahre zurückliegt.
Wer sollte dieses Buch lesen?
- Alle, die einen Klassiker der afroamerikanischen Literatur lesen möchten.
- Alle, die ein bisschen besser verstehen möchten, wie tief verwurzelt Rassismus und seine Auswirkungen in unserer Welt sind und wie wenig an manchen Stellen bisher geschehen ist.
- Alle, die einen Roman in einer ganz besonderen stilistischen Form lesen möchten.
- Eigentlich einfach alle.
Und bei mir so?
»Die Farbe Lila« ist eines von diesen Büchern, das bleiben wird. Es brauchte eine Zeit, sich an die Briefform zu gewöhnen, doch dann war sie unglaublich intensiv und kurzweilig zugleich. Ich hatte selten das Gefühl, einer Protagonistin und all ihrem Schmerz und Verlust, aber auch ihrer Liebe so nahezukommen. Alice Walker zeigt auf beeindruckende Weise auf, wie sehr uns unserer Herkunft prägt und wie schwer es ist, sich aus Mustern zu lösen – vorausgesetzt, die Gesellschaft lässt es überhaupt zu. Kein leichtes Buch, aber in umso wichtigeres.
Infos zum Buch im Überblick
- Ecco Verlag
- Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Holfelder-von der Tann
- Ca. 288 Seiten
- ISBN: 978-3-7530-0009-1
- Erschienen am 23. November 2021
Vielen Dank an den Ecco Verlag für das Rezensionsexemplar!
Kommentare von Anne