Als ihr Mann eine Krebsdiagnose erhält und es klar ist, dass er sterben wird, beginnt Hanne Ørstavik über die Beziehung zueinander und zum Tod, die Veränderungen in der Partnerschaft, den Verlauf einer Krankheit und vor allem eines zu schreiben: die Liebe. Herausgekommen ist »ti amo«, ein schmales Bändchen, in dem so unglaublich viel steckt, dass es für immer bleiben könnte. 

Was für ein Juwel! Es ist jetzt mehrere Wochen her, dass ich »ti amo« gelesen habe und es ist noch immer so sehr da. Und das wird es vermutlich auch bleiben. Ich stelle es mir ein bisschen so vor, dass ich später, vielleicht in 40 Jahren oder so, noch immer zu diesem Büchlein greife. Bis dahin ist es ganz mitgenommen, vielleicht hat es den ein oder anderen Fleck, das Lesebändchen könnte verloren gegangen und die Eselsohren nicht mehr so ganz an den gleichen Stellen wie jetzt sein. Denn dieser Text, er ist etwas ganz besonderes und er bleibt. Woran das liegt? Das versuche ich euch jetzt zu erzählen!

Eine Liebesgeschichte

Es ist schwer einen Einstieg zu finden, denn »ti amo« ist so vielfältig und dicht in der Erzählung, dass es zunächst einmal unglaublich scheint, dass diese sprachlich brillante Auseinandersetzung mit der Liebe – aus dem Norwegischen von Andreas Donat für uns zugänglich gemacht – auf gerade mal 109 luftig gesetzten Seiten stattfindet. 

Hanne Ørstavik blickt unerschrocken und ehrlich, mutig und so unglaublich echt auf ihre Gefühle, ihren Partner, die Gedanken und Geschehnisse dieser prägenden Zeit. Die beiden führen ein aufregendes Leben zwischen den Metropolen der Welt, huschen von Ausstellung zu Ausstellung, nehmen einen Aperitivo in Venedig, um direkt weiterzureisen nach Kopenhagen. Sie sind frei und ungebunden, so lebendig. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihr Mann die Krebsdiagnose erhält und von jetzt auf gleich der Tod einzieht. Doch zieht er bei beiden gleichermaßen ein? Vielleicht nicht. Denn auch wenn der Tod  so allgegenwärtig ist, können sie nicht darüber sprechen, finden keinen Zugang miteinander. Was daraus resultiert ist das Schreiben von »ti amo«. 

Facetten einer Beziehung

Wie ändert sich das Miteinander in Nicht-Gesundheit? Wir sprechen kaum darüber, fast genau so wenig wie über das Sterben. Hanne Ørstavik gibt uns einen intimen und einfühlsamen Einblick. Was bedeutet es, wenn eine körperliche Anziehung, die Leidenschaft einer sexuellen Beziehung, einer Krankheit weichen muss? Muss sie das überhaupt oder kann nicht viel mehr eine andere oder auch weitere Verbindung entstehen? Kann Krankheit zur neuen Normalität werden, die so viel mehr als ein Ende markiert? 

»Und nun sind mehr als anderthalb Jahre vergangen, und sicher kann man immer noch sagen, dass es unfassbar ist und abnormal und falsch und seltsam. Aber es ist nicht mehr neu. Es ist einfach so. Du wirst sterben.«
Hanne Ørstavik in »ti amo«, S. 16

Ganz gleich, mit welchem Aspekt der Krankheit und des Todes die Autorin sich auseinandersetzt steht doch über allem die Hoffnung und die Liebe. Dieser Text, er rührt zu Tränen, lässt uns lächeln und macht vor allem eines: Er bietet Anlass zum Nachdenken und Sprechen über die Liebe und den Tod. 

Wer sollte dieses Buch lesen?

  • Alle, die eine etwas andere Perspektive auf die Liebe wagen möchten.
  • Alle, die ein bisschen besser verstehen möchten, was der Tod für andere Menschen, wie hier Hanne Ørstavik, ist. 
  • Vielleicht auch Menschen, die trauern.

Und bei mir so?

Dieser Text hat etwas ganz Eigenes und Spezielles mit mir gemacht. Er hat mich so tief berührt und mir eine andere Sicht auf den Tod ermöglicht, mich irgendwie optimistisch zurückgelassen und eine ganz arge Wärme spüren lassen. Ich kann es gar nicht so genau in Worte fassen. 

Vielleicht hilft es, wenn ich drei Dinge erzähle, die im direkten Anschluss an die Lektüre passiert sind:

  1. Ich musste meinen so tollen und geliebten und unverzichtbaren Partner ganz fest in den Arm nehmen. 
  2. Ich hatte (und habe) so eine diffuse Gewissheit, dass Krankheit und Tod mehr als ein Ende sind, sondern auch der Beginn von etwas … Eine Veränderung, aber kein Ende.
  3. Ich habe direkt angefangen, der anderen Person im Haushalt (um mal wieder ein bisschen runterzukommen im Wording) diesen besonderen Text vorzulesen. Wir sind noch mittendrin. 

Und das war es mit diesem eigentlich viel zu emotionalen und intimen und persönlichen Leseeindruck. Lest dieses Buch.

Infos zum Buch im Überblick

  • Erschienen im Karl Rauch Verlag 
  • Autorin: Hanne Ørstavik
  • Aus dem Norwegischen von Andreas Donat
  • 112 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen
  • 12 x 20 cm
  • ISBN 978-3-7920-0273-5

Vielen Dank an Karl Rauch für das Rezensionsexemplar. Dieses Buch ist ein Geschenk.