In Esther Beckers Debüt-Roman „Wie die Gorillas“ begleiten wir drei Freundinnen beim Erwachsenwerden: Olga, Svenja und die (namenlose) Ich-Erzählerin. Welche Rolle spielt der Körper? Welche Erwartungen stellen wir selbst, unser Umfeld und die Gesellschaft an ihn? Und was bedeutet dieser Druck von allen Seiten eigentlich für junge Mädchen und Frauen? Esther Becker beleuchtet diese Fragen für uns mit den Augen einer jungen Frau, die zurück blickt auf vermeintlich zu kurze Röcke, abgebundene Brüste, heimliches Abnehmen und den Versuch, den Anforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden.

Im Fokus der Körper

Esther Becker startet ihren Roman mit einer ausgeprägten Körperlichkeit, die zugleich das zentrale Thema, den Körper, direkt thematisiert: Wir steigen ohne Umwege ein in die Beschreibung der gewaltvollen Verabreichung von Augentropfen im Kindesalter. Mehrere Personen fixieren die Ich-Erzählerin um die medizinische notwendige Verabreichung der Augentropfen zu erzwingen. Diese betrachtet das Erlebte in der Retrospektive und eröffnet das Spannungsfeld der Kontrolle und Macht über den eigenen Körper:

"Das alles eine Frage von Kontrolle und Macht über den eigenen Körper ist, würde ich so formuliert noch nicht denken und folglich nicht sagen, selbst wenn ich meinem Vater gegenüber ehrlich wäre."
Esther Becker in "Wie die Gorillas", S. 12

Gemeinsam erwachsen werden

In der Erzählung geht es um die Ich-Erzählerin und ihre zwei engen Freundinnen. Gegenseitig helfen sich die drei Mädchen beim Erwachsenwerden. Und auch wenn sie in sehr unterschiedlichen Umfeldern groß werden, haben sie doch eines gemeinsam: Sie begreifen recht schnell, dass an sie und ihre Körper ungeheuer viele und auch gegensätzliche Anforderungen gestellt werden: Körper müssen haarlos sein. Körper müssen verhüllt sein. Körper dürfen nicht zu verhüllt sein – niemand will wie eine Nonne wirken. Körper müssen schlank sein. Körper dürfen nicht zu dünn sein.

Wir werden mitgenommen auf eine anekdotische Reise dreier Freundinnen, die diesem alltäglichen Druck dauerhaft ausgesetzt sind und eigene Wege finden damit umzugehen. Fast fühlt es sich an, als würde man ein Tagebuch lesen, so eindrücklich und zum Teil drastisch beschreibt Esther Becker die situativen Empfindungen der Freundinnen. Einer der wohl eindrücklichste Momente: Die drei laufen mit abgebundenen Brüsten durch die Stadt und fühlen sich stark und selbstbewusst wie nie – wie die Gorillas.

Wer sollte dieses Buch lesen?

  • Alle, die verstehen möchten, wie viel Druck auf weiblichen Körpern lastet und was die dauernde Bewertung und Vereinnahmung des Körpers durch Außenstehende für junge Mädchen & Frauen bedeutet.
  • Alle, die eine Geschichte der Selbstermächtigung lesen möchten.
  • Alle, die es wundert, dass abgebundene Brüste in der Öffentlichkeit die Schultern breiter werden lassen.

Und bei mir so?

Ich habe mich für die richtige Wochenend-Lektüre entschieden. Auch wenn sich „Wie die Gorillas“ erstmal schnell runter liest, was der sehr eindrücklichen und klaren Sprache von Esther Becker zu verdanken ist, lässt es einen nachdenklich und mit vielen Gedankenanstößen zurück.

Ich habe innerhalb von kurzer Zeit öfter Sätze gehört wie „Ah ja, das klingt nach einem Frauen-Buch. Da muss man sich mit der Thematik identifizieren können.“ Ich widerspreche klar und deutlich: Frauen und alle, die sich als Frauen definieren – schenkt jedem Mann dieses Buch. Ich bin der festen Überzeugung, gerade Männer sollten sich mit der Wirkung von abgebunden Brüsten eingehender beschäftigen. 😉

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