Ich glaube, wir alle kennen sie, wobei “kennen” ist übertrieben, sagen wir lieber, wir alle haben schon mal von ihnen gehört oder waren vielleicht auch schon mit ihnen konfrontiert: Die Räuber in unserer Stadt. Sie kaufen unsere Wohnhäuser zu Fantasiepreisen, sanieren, reißen ab und lassen die Mieten in astronomische Höhen steigen. Sie möchten uns am besten ganz schnell loswerden, ohne große Scherereien, denn wir haben in dieser Immobilie nichts mehr zu suchen und müssen weichen, wenn sie erst mal das sind, die Investoren. In Eva Ladipos Roman “Räuber” zieht der vielleicht unwahrscheinlichste aller Mieter:innen in den Kampf: Olli Leber. 

500 Seiten. Was für ein Umfang. Auch wenn ich eine Schnellleserin bin, mehr als 300 Seiten sind es selten. Und vielleicht hätte ich unter Umständen aus diesem Grund nicht zum Buch gegriffen, wäre ich nicht mit Eva schon vorab in eine “Investoren in Berlin”-Diskussion geraten und hätte mich von ihrem Buch überzeugen lassen. Vor diesem Fehler, den ich knapp vermeiden konnte, möchte ich euch wiederum jetzt direkt zu Anfang bewahren: Diese 500 Seiten lesen sich flüssig, sind dynamisch und spannend. Kurzum, sie fühlen sich viel mehr nach 250 Seiten an und Eva Ladipo hat eine wichtige und hochaktuelle Geschichte für uns geschrieben, die absolut lesenswert ist.

Raus aus der Innenstadt 

Olli Leber ist Bauarbeiter und lebt gemeinsam mit seiner Mutter in einer Sozialwohnung am Rande des Prenzlauer Bergs in Berlin. Sie hatten Glück, diese Wohnung gefunden zu haben, direkt an der Ringbahn, der alte Kiez noch in Reichweite. Dort haben sich Immobilien, Bewohner und Gewerbe bereits dramatisch verändert, es gab keinen Platz mehr für die dreiköpfige Familie. Ollis Vater gab seiner Frau vor seinem Tod ein Versprechen: Noch mal soll seine Frau nicht vertrieben werden. Olli schwört, dieses Versprechen einzuhalten.

Als die ganze Siedlung, in der Olli und seine Mutter leben, von der “Europäischen Wohnen” aufgekauft wird, scheint der Lauf der Dinge klar zu sein: Die Wohnungen verlieren den Status der Sozialwohnung, alle Mieter:innen die sich die Mieten nach der Sanierung nicht mehr leisten können, müssen raus. Wie sollen sich Menschen wie Olli Leber und seine Mutter oder auch die alleinerziehende Mutter aus der Wohnung im Erdgeschoss gegen einen internationalen Großinvestor wehren können?

“Denn Leute wie wir wehren uns nicht”, spann er den Faden leise weiter. “Leute wie wir ziehen nicht vor Gericht. Wir wissen nicht einmal, wie das geht. Leute wie wir lassen sich einfach rausschmeißen.”
Eva Ladipo in “Räuber”, S. 7

Doch Olli findet eine Verbündete: die Journalistin Amelie, die selbst eine Rechnung mit der Wohnungspolitik Berlins bzw. dem Verantwortlichen Falk Hagen offen hat. Während dieser mitten in den Vorbereitungen für die dekadente Hochzeit seiner Tochter steckt und versucht, einen Millionen-Exit aus der eigenen Immobilienfirma zu schaffen, schmiedet Olli einen mehr und mehr verzweifelten und gefährlichen Plan, um vom Vorkaufsrecht des eigenen Wohnhauses Gebrauch zu machen.

Geld gewinnt immer 

Eva Ladipo entwirft ein vielstimmiges und nahbares Porträt der Bewohner:innen der Siedlung im Prenzlauer Berg und schnell wird für uns als Leser:innen klar: Manche der Bewohner:innen werden die neuen Mieten zahlen können und gleichzeitig gegen Verdrängung demonstrieren, während andere Mieter:innen, nämlich die, die auf den Status “Sozialwohnung” angewiesen sind, Spielbälle der Vermögenden sind und aus der Stadt gedrängt werden. Sie sind ein Kollateralschaden auf dem Weg zur Maximierung des eigenen Kapitals.

Olli Leber hätte im wirklichen Leben keine Chance gegen einen Immobilieninvestor, lediglich die Beziehung zu Amelie und deren Verbindungen zur Presse geben ihm den Hauch einer Chance. Doch auch dieser Hauch reicht nicht. Und so konstruiert Eva Ladipo eine Geschichte der Verzweiflung für uns und transportiert diese durch die immer waghalsigeren Pläne Ollis. Er greift zu illegalen Mitteln wie einer Entführung, will die Kaufsumme für sein Wohnhaus erpressen. Was auf den ersten Blick vielleicht ein wenig überdreht und überzeichnet wirken mag, macht vor allem eines: Es verdeutlicht, dass Olli Leber keine reale Chance hat und durch seine Hilflosigkeit in Verzweiflungstaten getrieben wird. Er riskiert damit alles, Männer wie Falk Hagen nutzen die gleichen Mittel, doch sie stehen am Ende immer auf der Seite der Gewinner.

Ganz nebenbei werden die Ursachen für die Wohnungsnot in Berlin für uns eingeflochten. Warum hat die Stadt angefangen, Sozialwohnungen zu veräußern? Wer sind die Profiteure? Diese gut recherchierten Details sind so selbstverständlich in die Handlung eingewoben, dass sie gerade für jemanden wie mich, der selbst in Berlin lebt, noch mal ein guter Reminder waren, wie groß die Probleme sind und wie wichtig es ist, dagegen anzukämpfen. Grüße gehen raus an die “Europäische Wohnen”.

Wer sollte dieses Buch lesen? 

  • Alle, die ein bisschen besser verstehen wollen, aus welchen Motiven Menschen aus ihrem Lebensraum gedrängt werden und wer die Profiteure sind.
  • Alle, die einen Reminder brauchen, warum es sich lohnt, gegen Investoren zu kämpfen und zwar gemeinsam, denn allein hat niemand von uns eine Chance. 
  • Alle, die eine schnelle und gut zugängliche Geschichte lesen möchten, die die vielfältige Struktur einer urbanen Bevölkerung porträtiert. 

Und bei mir so?

Während in Berlin Kiez-Buchhandlungen die Kündigung auf dem Tisch liegen haben, linke und antikapitalistische Orte bereits geräumt wurden und die Deutsche Wohnen die Stadt übernimmt, vergesse ich oft eines: Es ist beängstigend, aber dennoch sind wir viele. Und wir sollten bei jeder Gelegenheit mit unseren Nachbar:innen, Freund:innen und einfach allen Mieter:innen in unserer Stadt kämpfen. Miteinander und füreinander, denn niemand von uns hat auch nur den Hauch einer Chance, es mit einem milliardenschweren Konzern aufzunehmen. Deswegen müssen wir laut sein, uns verbünden und die Politik dazu zwingen, dem Ausverkauf unserer Städte einen Riegel vorzuschieben. 

Bis zur nächsten Demo empfehle ich euch allen “Räuber” zu lesen und es an alle zu verschenken, die noch nicht überzeugt davon sind, mit uns kämpfen zu müssen, denn der Siegeszug des Kapitals betrifft uns alle.

Infos zum Buch im Überblick

Verlag: Blessing Verlag 

Hardcover mit Schutzumschlag, 544 Seiten, 13,5 x 21,5 cm

ISBN: 978-3-89667-678-8

Erschienen am  08. März 2021

Danke an Eva Ladipo und Penguin Random House für das Rezensionsexemplar!